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Modernisierungsbedarfe im Berufsbildungssystem
Reformen müssen ihre
Grundfunktionen auch
unter veränderten
Bedingungen
gewährleisten.
Das Gremium setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder, der Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften, Unternehmerpersönlichkeiten sowie Vertretern innovativer Berufsbildungspraxis. In einer konstituierenden Sitzung vom 06. April 2006 wurden vier Themenschwerpunkte beraten und für die weitere Agenda des Innovationskreises berufliche Bildung festgelegt: Modernisierung, Übergangsmanagement, Weiterbildung/Durchlässigkeit und Europäische Öffnung. Zum Themenpunkt Modernisierung veröffentlichten Regina Görner und Ingrid Sehrbrock ein Positionspapier mit folgendem Maßnahmenkatalog.

19.06.2006

Von der Qualität der beruflichen Bildung hängen in einer Wissensgesellschaft nicht nur die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, sondern auch die Zugangsmöglichkeiten der Menschen zur Erwerbsarbeit ab. Das duale Berufsbildungssystem liefert dafür beste Voraussetzungen. Handlungsorientiertes Lernen in der Wirklichkeit der Arbeitswelt wird durch schulische Verallgemeinerung ergänzt und erschließt so Lernpotentiale, die in schulischen Systemen allein nicht erreicht werden. Dadurch wird die Qualifizierung eines großen Teiles der Bevölkerung für anspruchsvolle Facharbeit möglich. Die Ausbildung im Betrieb sichert die Nähe zur Entwicklung der Arbeitsplätze und gewährleistet die rasche Anpassung an Veränderungen. Dafür sorgt auch die Ordnungsverantwortung der Sozialparteien, die im Konsensprinzip zum Ausdruck kommt.

Dieses System war nicht nur in der Vergangenheit die Voraussetzung für eine leistungsfähige Volkswirtschaft und eine hohe Einbindung der Bevölkerung in die Erwerbswirtschaft, sondern liefert auch die Instrumente für eine Bewältigung künftiger Herausforderungen. Deshalb sind duale Berufsbildungssysteme zu erhalten und auszubauen. Reformen müssen ihre Grundfunktionen auch unter veränderten Bedingungen gewährleisten.

Das Berufsprinzip ist eine zentrale Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit des Qualifizierungssystems. Es sichert nicht nur die Vermittlung notwendiger Fachkompetenzen und Schlüsselqualifikationen, sondern selbständige Handlungskompetenz gerade unter rasch und häufig wechselnden Einsatzbedingungen. Davon profitieren Betriebe und ihre Beschäftigten gleichermaßen. Modulare Strukturierungen sind nur zweckmäßig als pädagogische Ausgestaltung einer Berufsausbildung oder deren Fortführung in der Weiterbildung, nicht aber als deren Alternative.

Aus gewerkschaftlicher Sicht ergeben sich folgende Modernisierungserfordernisse:

- Den Fachkräftebedarf der Wirtschaft sichern - Zugänge zur Qualifizierung sichern
- Beschäftigungsfähigkeit sicherstellen
- Qualifizierungsfähigkeit sicherstellen

Unabhängig davon sollte die Bundesregierung die europäische Ratspräsidentschaft nutzen, um die Erfahrungen der Länder mit dualen Berufsbildungssystemen in Austausch zu bringen und gemeinsame Aktionen der betreffenden Länder zur Sicherung gleicher Wettbewerbsbedingungen für die duale Berufsbildung in Europa zu verabreden und durchzuführen.

Qualifizierung bedeutet
Investition in
Humanressourcen
1. Den Fachkräftebedarf der Wirtschaft sichern
Qualifizierung bedeutet Investition in Humanressourcen. Die dafür erforderlichen materiellen Investitionen sowie der Einsatz von Lebenszeit bringen erst mittel- bis langfristig Erträge. Wer diese Investitionen leisten soll, braucht Transparenz über die zu erwartenden Erträge und ihre Verwertungsmöglichkeiten. Nur so lassen sich Investitionsbereitschaft anreizen und Fehlallokationen vermeiden.

Maßnahmen:
- Ein „Branchenprojekt Fachkräftestrategien“ soll Branchen anregen, Strategien für die Sicherung des jeweiligen Fachkräftebedarfs zu entwickeln, transparent zu machen und umzusetzen. Dazu sollen Qualifizierungsstrategien und -Trends für die jeweilige Branche analysiert, Aus- und Weiterbildungsbedarfe definiert und Fachkräfteprognosen mit längerem Vorlauf regelmäßig vorgelegt werden.
- Die Erstellung der Branchenstrategien erfolgt in gemeinsamer Verantwortung der Sozialparteien innerhalb der Branchen.
- Die Bundesregierung unterstützt den Aufbau entsprechender Konsultations-, Dialog- und Supportstrukturen, führt die Strategien regelmäßig zusammen und sorgt für die Publikation der Ergebnisse.
- Sie informiert ausbildungswillige Jugendliche und ihre Eltern, Bildungseinrichtungen und Betriebe, vor allem über absehbare Bedarfe und Marktsättigungen, und erleichtert ihnen so verantwortbare Entscheidungen über Investitionen in Qualifizierung.

2. Zugänge zur Qualifizierung gewährleisten
Ein ausreichendes und auswahlfähiges Angebot beruflicher Qualifizierung für alle ist nicht gewährleistet. Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen ist u.a. infolge von Outsourcing, Spezialisierung und dem Anwachsen von Zeitarbeit stark zurückgegangen. Zudem ist die systemnotwendige Überbedarfausbildung v.a. in der Industrie fast vollständig zusammengebrochen. Die Wettbewerbsverzerrungen zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben beschleunigen die Verringerung der Ausbildungsbereitschaft. Ein staatlich finanziertes außerbetriebliches Ausbildungsplatzangebot ist allenfalls als vorübergehende Notlösung akzeptabel, kann und darf aber keinesfalls die dauerhaften Strukturveränderungen kompensieren, die zum Rückgang der betrieblichen Berufsausbildung geführt haben. Hierzu müssen die Rahmenbedingungen so verändert werden, dass einzelbetriebliche und volkswirtschaftliche Rationalität nicht mehr im Widerspruch zueinander stehen.

Auch der Zugang zu beruflicher Fort- und Weiterbildung ist bei weitem nicht für alle sichergestellt. Betriebsübergreifende Regelungen müssen deshalb Impulse setzen, auch diejenigen einzubeziehen, die bisher bei der betrieblichen Weiterbildung zu kurz kommen.

Maßnahmen:
- Entwicklung eines geregelten Verfahrens für den Übergang von der Schule in die Ausbildung (Berufswahlorientierung, Stärketests, Berufsberatung, Praktika) und klare Ausgabenzuweisung an Schulen, Betriebe und Berufsberatung
- Gewährleistung der Finanzierungsverantwortung der Wirtschaft für die berufliche Erstausbildung durch ein Umlagesystem (auf staatlicher oder Branchenebene)
- Förderung der Strukturen von Ausbildungsverbünden (z.B. Jobstarter- Projekt)
- Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen durch einen Umlagefonds für berufliche Weiterbildung
- Bereitstellung eines leistungsfähigen Schul-, Berufsschul- und Hochschulsystems durch die öffentliche Hand
- Ausbau der Weiterbildung als 4. Säule des Bildungswesen durch gesetzliche und tarifvertragliche Rahmensetzungen
- Bessere Verzahnung von Aus- und Weiterbildung sowie von dualer und akademischer Berufsbildung
- Beseitigung des „Förderdschungels“ durch Entwicklung eines für alle Akteure überschaubaren öffentlich finanzierten Unterstützungssystems für Jugendliche/ Erwachsene mit besonderem Förderbedarf

3. Beschäftigungsfähigkeit sicherstellen
Das allgemeinbildende Schulsystem muss Jugendliche in die Lage versetzen, ohne weitere Umwege in das berufliche Qualifizierungssystem einzusteigen. Dafür muss die Schule die Veränderungen in der Arbeitswelt zur Kenntnis und ernst nehmen und Jugendlichen frühzeitig ermöglichen, sich mit den Herausforderungen der Berufswelt auseinander zu setzen.

Vor allem Jugendliche, die mit Misserfolgserfahrungen aus den Schulen kommen, können von der pädagogischen Qualität des dualen Berufsbildungssystems besonders profitieren. Deshalb müssen die Unternehmen diesen Jugendlichen diese neuen und anderen Formen des Lernens ermöglichen.

Maßnahmen in den Schulen:
- Entwicklung und Implementierung handlungsorientierter Lehr- und Lernmethoden (vom Dualen System lernen!)
- Einführung eines umfassenden Berufwahlkundeunterrichts in allen Schulformen der SI/SII
- Einjährige, durch die Schule begleitete Betriebspraktika an einem Tag der Woche in allen Hauptschulen
- Regelmäßige Betriebspraktika für LehrerInnen

Maßnahmen im Rahmen der beruflichen Erstausbildung:
- Ausbildungsbegleitende Hilfen als Regelangebot der beruflichen Bildung
- Sicherstellung öffentlich finanzierter sozialpädagogischer Begleitung für die Dauer betrieblicher Berufsausbildung von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf
- Finanzierung durch Abschaffung der „Warteschleifen“

4. Qualifizierungsfähigkeit sicherstellen
Der Qualitätssicherung der beruflichen Bildung muss wesentlich größere Aufmerksamkeit gewidmet werden, damit die Investitionen von Betrieben und Individuen nicht verschwendet werden.

Maßnahmen
- verbindlicher betrieblicher Ausbildungsplan für alle Auszubildenden und alljährliche Überprüfung der in diesem Zusammenhang erstellten Dokumentationen der Auszubildenden durch die zuständigen Stellen
- regelmäßige Beratung der Ausbildungsbetriebe und Auditierung durch die Berater
- uneingeschränkte Geltung der AEVO - gemeinsame Weiterbildung für Aus-/WeiterbilderInnen und BerufsschullehrerInnen
- „Qualitätszirkel“ bei den Berufsbildungsausschüssen der zuständigen Stellen
- Entwicklung eines Qualitätssicherungssystems für die betriebliche Berufsbildung durch BiBB und Sozialparteien

Die Autorinnen:
Regina Görner, Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes
Ingrid Sehrbrock, Stellvertretende DGB-Vorsitzende

Quelle: http://www.dgb.de/...

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